Mitte April in Brodowin. 400 Einwohner, eine Straße, eine Kirche, ein Storchennest, umgeben von Seen und sanft gewellten Hügeln. Weiter nach Osten geht’s in Deutschland kaum. In dem Ökodorf sind Landwirtschaft und Naturschutz kein Gegensatz. Gleich nach der Wende beschlossen die Brodowiner mit ihrer LPG – der Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft – auf Bio umzusteigen. Der Ornithologe Martin Flade …
Was keimt denn da?
Der Wind ist eisig und weht von Nord. Die Pflaume blüht, die Schlehe auch. „Schlehenkälte“, sagt mein Vater. „Kälten“ kennt er viele: Schafskälte, wenn die Schafe geschoren werden, Weißdornkälte, wenn der Weißdorn blüht. Die kommen alle noch. Trotzdem: Auf meiner kleinen Wiese tut sich was. Vor 14 Tagen haben wir gesät. Am nächsten Tag kam der …
Der Trick mit dem Sand
Anfang April. Es ist warm geworden, der Acker ist trocken, die „Klüten“ sind entfernt, endlich können wir säen. Aber wie verteilt man 5 Gramm Saat pro Quadratmeter gleichmäßig, eine Saat zudem, die aus großen bis winzig kleinen Körnern besteht? Ich erinnere mich, wie wir, als ich Kind war, Radieschen und Möhren gesät haben, nämlich mit Sand vermischt. Also kaufe ich eine Tüte feinsten Sandkistensand, 25 Kilo, keine Ahnung wie viel davon wir benötigen werden. Und ich holte mir Rat bei meinem Vater. Der hat schon das Ausharken überwacht, nun muss er den Sämann machen.
Das Schnapsglas als Helfer
Wir benötigen: Eine Schubkarre, einen großen Plastikeimer, einen mittlerer Blumenübertopf und ein großes Schnapsglas. Dann fängt er an zu mischen: drei Blumentöpfe Sand auf ein Schnapsglas Saat. Die muss vorher noch einmal richtig gut durchmischt werden, damit sich nicht alle kleinen Körner unten in der Tüte befinden. Sand und Saat werden gut durchgerührt und in die Schubkarre gekippt. Dann mischt er wieder an: drei Blumentöpfe Sand und ein Schnapsglas Saat, gut mischen und ab in die Schubkarre. Bis etwa zwei Drittel der Tüte leer sind und wir etwa 10 Kilo Sand verbraucht haben. Den Rest brauchen wir erstmal nicht. Er bleibt, um im Herbst eventuell nachzusäen.
Weißer Sand auf schwarzem Grund
„Das macht man so“, mein Vater klemmt sich den Eimer unter den linken Arm und streut, die Finger leicht gespreizt, mit leichtem Schwung Sand und Saat auf den Acker. Dabei stellt sich ein weiterer Vorteil der Methode heraus: Man sieht, wo man schon gesät hat, weil der weiße Sand sich auf dem schwarzen Boden gut abhebt. Dann bin ich an der Reihe. „Das macht man mit bloßen Fingern“, kriege ich zu hören, als ich mit Gartenhandschuhen in den Eimer greifen will. Und in der Tat: Man muss den kühlen, feuchten Sand spüren, um ihn gut auszustreuen. Am Ende harken wir alles noch einmal ganz leicht glatt. Nicht zu stark, denn die meisten Pflanzen brauchen Licht zum Keimen. Nun hoffe ich, ganz gegen meine Natur, auf ein regenreiches Frühjahr, denn der Acker muss sechs Wochen feucht sein. Übrigens hat uns Luise ein Eis vor die Haustür gelegt.
Letzte Vorbereitungen
Den Boden vom Gras befreien. Das geht am besten mit technischem Gerät. Dann wird die Oberfläche gelockert.
Dienstag der 11. März. Der Gärtner kommt und in zwei Stunden ist alles fertig, was mich Tage gekostet hätte. Nun soll ich warten bis das Gras, das er umgefräst hat grau wird und trocken. Dann könne ich die Wurzeln besser ausharken, weil die Erde dann besser abfällt, sagt Herr Bolt. Oder er kommt, wenn es trocken bleibt noch einmal, und pflügt etwas tiefer. „Damit das Unkraut auch wirklich weg ist“, wie er sagt. Ich entscheide mich für letzteres. Und beschäftigte mich mit genauer der Saattüte und ihrem Inhalt.
Futter für Wildbienen
Die Saatgutmischung sei für „mittlere Standorte ohne extreme Ausprägung“ geeignet, heißt es in dem Katalog. Ich erhalte Untergräser wie Rotes Straußgras, Ruchgras und Rot-Schwingel, die eher niedrig, halmarm und feinblättrig sein sollen, dazu Kräuter wie den gelben Sumpf-Hornklee, Rot-Klee, Gewöhnliche Schafgarbe, auch gelb blühend, Weißes Labkraut, Gewöhnliche Braunelle, ein Lippenblütler mit kleinen lila Blüten und Gras-Sternmiere – alles Kräuter, die Wildbienen – zu denen übrigens auch die Hummeln gehören – lieben und unsere eigenen Hausbienen sicher auch. Hinzu kommen leuchtend blaue Kornblumen, immerhin 2,4 Gramm. Wie viele da wohl blühen werden?
Die „Klüten“ müssen weg
Ein paar Tage später kommt Herr Bolt noch einmal zum Pflügen und Walzen, damit der Boden schön glatt und eben wird. Eigentlich sollte der Acker nun fertig sein, aber nun macht mir mein Vater einen Strich durch die Rechnung. So geht das nicht, bescheidet er mir nach einer Besichtigung. Da seien noch viel zu viele „Klüten“ auf dem Acker, er meint die Graswurzeln, die müsse ich noch ausharken. Nun wird die Zeit auch schon knapp, denn Anfang April will ich säen. Die vorgeschriebenen vier Wochen Wartezeit lassen sich kaum noch einhalten. Hoffentlich klappt es trotzdem. In der Natur verläuft schließlich auch nicht immer alles nach Plan.
Nass ist schlecht
Erste Begehung mit dem Gartenbauunternehmen. Der Boden quatscht unter den Füßen. Vor drei Nächten hat es 30 Liter geregnet. „Zu nass“, sagt Wolfgang Bolt. „Da war noch kein Bauer draußen“, befindet er. Pflügen ist nach so viel Regen für den Boden gar nicht gut, weil der Reifendruck des Treckers ihn verdichtet. Unter den Spuren bilden sich wasserundurchlässige Schichten. Professor Wilke, Präsident des Bundesverbands Boden, hat es mir bei einem Besuch in Berlin kürzlich so erklärt: „Empfindlich sind vor allem lehmige, tonige Böden. Je feuchter es ist, umso schlimmer. Feuchten Ton kann man modellieren, wenn er trocken ist, kann man gar nichts machen.“ Will heißen: Nasser Boden ist weich und druckempfindlich, trockner hingegen ist fest.
Nach dem Regen kommt der Frost
Jede Nacht 3, 4, 5 Grad minus. Unsere Ente – sie ist uns vor Weihnachten zugeflogen und wir haben sie Luise getauft, stört das nicht. In der Zeitung lese ich, dass ich mich darüber freuen soll. Eigentlich sollten die Boden jeden Winter bis in eine Tiefe von 15 cm gefrieren, steht da. Das würde die „Bodengare“ fördern. „Garer“ Boden ist dunkel, weil er reich an Humus ist. Er ist locker und krümelig, lese ich in einem Lexikon der Biologie. Es gibt die „Schattengare“, bei der dichtes Blattwerk die Planschwirkung des Regens mindert. Aber noch besser ist die Frostgare, für allem für die tonreichen Böden, wie sie hier am Rand der Marsch vorherrschen.
Der Trick mit der Bodengare
Die Frostgare wird von Eiskristallen verursacht. Sie entziehen der Umgebung Wasser, das dann bei Sonnenschein an der Oberfläche verdunsten kann. So trocknet nasser Boden schneller wieder aus. Außerdem brechen die Eiskristalle verdichteten Boden auf, denn das Wasser dehnt sich beim Gefrieren aus. Mein Boden sollte in diesen kalten Märznächten also eine poröse Krümelstruktur aus groben und feinen Poren entwickeln, damit das auftauende Wasser nach dem Frost besser entweichen kann. Ich beschließe, mich über das Wetter zu freuen, auch wenn ich mich eigentlich nach Wärme und Märzsonne sehne. Wie so eine kleine Wiese die Einstellung zum Leben verändern kann! Luise wird übrigens immer zutraulicher und mag gerne Hühnerfutter.
Eine Frage des Bodens
Wer eine Wiese anlegen will, wird plötzlich mit Unmengen Fragen konfrontiert. Ist der Boden mager oder nährstoffreich? Denn magerer Boden braucht andere Saaten als fetter. Meinen Boden nennt der Berater des Saatgutunternehmens „hohe Geest mit Lehmauflagen“. Was in aller Welt sind „Lehmauflagen“? Außerdem wichtig: Ist der Standort sonnig oder halbschattig? Wiesen mögen keinen Schatten. Schattige Standort sind deshalb völlig ungeeignet, allenfalls „wandernde Schatten“ unter Bäumen sind erlaubt. Meine kleine Wiese liegt hinter einer hohen Hecke, die gen Osten zeigt. Ab Mittag bis zum Abend gibt es Sonne satt.
Fett ist schlecht, mager ist gut
Anders als früher sind Böden heute meist sehr nährstoffreich. Gedüngt wird eher zu viel, als zu wenig, aber meine kleine Wiese mag das gar nicht, lerne ich. Dem lässt sich abhelfen. Man arbeitet Sand ein und magert den Boden so aus. Im schlimmsten Fall muss eine Schicht von 7-8 cm Sand auf dem Gartenboden ausgebracht und eingefräst werden. Das ist mir zu aufwändig. Außerdem befindet sich meine kleine Wiese auf dem westlichen Geestrücken in Schleswig-Holstein und früher war hier Moor. So fett wie in der Marsch einige Kilometer weiter westlich wird mein Boden nicht sein, schätze ich.
Fräsen, pflügen, schuften
Und noch ein Problem stellt sich: Wo die Wiese hin soll befindet sich jetzt Rasen und das ist gar nicht gut. Das Saatbett muss „sauber“ und „gut abgesetzt“ sein, lerne ich. „Sauber“ heißt, kein Bewuchs, keine Wurzelreste, kein nix. „Gut abgesetzt“ heißt, die letzte tiefe Bodenbearbeitung muss mindestens einen Monat her sein. Wenn ich Anfang April säen will, muss ich also Anfang März den Boden vorbereiten. Aber Ende Februar regnet es fast ununterbrochen. Der erste Versuch, dennoch umzugraben endet nach einer Stunde, und ich habe fast nichts geschafft. Flucht zurück in die warme Stube und Anruf bei einem Gartenbauunternehmen. Können sie das übernehmen? Sie können und schlagen vor: Rasen abschälen und mitnehmen, dann pflügen, liegen lassen, auf Frost hoffen und ausfrieren lassen. Danach die Wurzeln ausharken und walzen. Aber erst muss der Regen nachlassen.
Eine Tüte Vielfalt
Feld-Rain-Saum- oder Wiesen-Mischung? Das ist hier die Frage. Die erste besteht aus 70 Prozent Gras und 30 Prozent Kräutern, die ich ich zweimal im Jahr mähen müsste. Die zweite besteht aus 90 Prozent Kräutern und und 10 Prozent Gräsern, die eher konkurrenzschwach sind, Ruch- und Kammgras, in dem auch Jungvögel etwas zu picken haben. Rote-Liste-Arten sind bei keiner Mischung dabei und …
Der Tipp des Forschers
Josef Settele arbeitet am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle, ist Mitglied im Weltbiodiversitätsrat und Experte für Bläulinge – zarte Falterchen, wie sie zu abertausenden über Deutschlands Wiesen gaukelten. Bläulinge sind selten geworden, denn ihre Raupen sind Spezialisten: Die der einen Art fressen nur die Blüten des Wiesenknopfes, andere nur die vom Lungenenzian und wieder andere nur vom Storchschnabel. Settele erzählt, er habe in seinem Garten eine kleine Wiese angelegt. Hinter der Terrasse und dem Rasen für die Kinder. „Wir haben uns von einem Gärtnerkollegen eine autochthone Saatmischung geholt.“ Die sei typisch für die Region um Halle. „Der Wiesenknopf ist auch dabei“, sagt der Forscher. Jeden Sommer beobachtet er nun, „was dort so lebt“. Gibt es solches Saatgut auch für Schleswig-Holstein, wo ich lebe? Klar versichert er, ich müsse allerdings darauf achten, dass ich zertifiziertes Regiosaatgut kaufe.
Hilfe, meine Wiese ist zu klein!
Wieder zu Hause maile ich einem solchen Saatguthersteller: Ich wolle in meinem Garten auf etwa 50 Quadratmetern eine regionaltypische Wiese anlegen, wie es sie früher gegeben hat. Das ausgewählte Stück Land liege recht sonnig, und ich würde mir wünschen, dass im ersten Jahr schon etwas blüht. Eine Stunde später kommt ein Rückruf. Sogleich wird die Sache verwickelt: Meine Wiese sei mit 50 Quadratmetern für sein Unternehmen eigentlich zu klein. Es sei auf Mengen für Hektar eingestellt. Ein Kilo Saatgut, weniger könne er nicht liefern, nennt der Berater eine „Apothekermenge“. Bei 5 Gramm pro Quadratmeter – mehr ist nicht nötig – würden mir sogar 250 Gramm ausreichen. Wir einigen uns auf 500 Gramm.
Die Körner auf der Waage
Ich habe Blumensaat bisher in kleinen Tüten im Gartencenter gekauft und finde, 500 Gramm ist unvorstellbar viel. Warum weniger nicht möglich ist, erklärt der freundliche Berater so: Das Saatgut wird für jeden Kunden individuell zusammengestellt, je nachdem wo er lebt und wie viel er braucht. Nur so stimmt am Ende die Mischung zwischen den großen und den kleinen, den leichten und den schweren Saatkörnern. Und er macht eine Rechnung auf: Bei einem Kilo seien es in der auf meine Region abgestimmten Mischung beispielsweise 0,5 Gramm „Gewöhnliches Ferkelkraut“ oder 0,2 Gramm „Wiesenschaumkraut“ oder 0,1 Gramm „Rundblättrige Glockenblume“. Wie viele Saatkörner das wohl sind?
Am Anfang war der Acker
80 Prozent weniger Insekten. Immer weniger Vögel. Lichtnelken, Klappertopf und zarte blaue Glockenblumen an Wegrainen – Fehlanzeige. Kornblumen und Mohn auf Äckern – allenfalls beim Blick aus dem Zug Richtung Berlin, extra angesät, um den Anschein unberührter Natur zu wecken. Von Natur keine Spur Insektizide, Pestizide und Gülleduschen haben der Vielfalt in unserer Natur den Garaus …