Erst das Haus, dann die Frau. So hält es der Zaunkönig. Von März bis Juni – drei Monate lang – hat er an dem Nest im Efeu über meinem Arbeitszimmer gebaut: Anfangs verarbeitete er trockne Gräser, zum Schluss Moos – eine kleine Kugel mit seitlichem Eingang, im Efeu nicht zu erkennen. Jeden Morgen gegen vier Uhr hat er mich mit seinem Gesang geweckt. Mit seinen bis zu 90 Dezibel und 130 verschiedenen Tönen ist ein er Orchestergraben im Miniaturformat. Zaunkönige werde nur 5 Zentimeter groß.
Bigamistischer Handelsvertreter
Wissenschaftlich heißt der Vogel Troglodytes troglodytes, übersetzt Höhlenbewohner. Zaunkönige bauen mehrere Nester. „Sobald er sich mit einem Weibchen niedergelassen hat, wird der versuchen, ein weiteres Fräulein Zaunkönig in eines seiner restlichen Nester zu locken, wo auch sie seinen Nachwuchs zur Welt bringen wird. Dann reist der kleine Gockel zwischen seinen Familien hin und her wie ein bigamistischer Handelsvertreter in einem Thriller der 1930er Jahre“, schreibt John Lewis-Stempel in seinem wunderbaren Buch „Ein Stück Land“, in dem er das Leben der Wildtiere auf seiner Farm in England beschreibt.
Nest im Efeu
Mein „bigamistischer Handelsvertreter“ hat mindestens eine Frau gefunden. Woher ich das weiß? Der Efeu wuchs über die Laibung des Fensters, ich musste ihn zurückschneiden. Da flog, leise wie ein vertrocknetes Blatt im Wind, die Zaunkönigin heraus und landete hinter mir auf dem Rasen. Er hingegen schmettert seine Liebeswerbung nun vorrangig etwas weiter hinten im Garten und ich kann morgens länger schlafen.